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Wie Sexismus, Misogynie und LSBTIQ*-Feindlichkeit zusammenhängen

Was haben Sexismus und Misogynie mit Feindlichkeit gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, trans- und intergeschlechtlichen Menschen zu tun? Und wie wirkt dies auch in LSBTIQ*-Communitys hinein?

Einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge hängt die „Neigung zu Sexismus […] deutlich mit Homophobie zusammen: Wer Frauen abwertet, wertet mit recht hoher Wahrscheinlichkeit auch lesbische, schwule und bisexuelle Personen ab“.1  Zudem geschieht die Diskriminierung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen häufig in der Verschränkung mit stereotypen Geschlechterbildern, denen eine Abwertung von Weiblichkeit(en) inhärent ist. 

Dieser Artikel zeigt auf, inwiefern die gesellschaftliche Abwertung von Frauen und weiblich gelesenen Attributen auch die Abwertung von LSBTIQ* bedient beziehungsweise von dieser bedient wird. Wie zeigt sich die Verschränkung von LSBTIQ*-Feindlichkeit und Sexismus/Misogynie im gesellschaftlichen Kontext? Wie wirkt dies auch in LSBTIQ*-Szenen hinein? Und inwieweit ermöglicht ein Wissen um diese Verschränkung solidarische Interventionen?

Sexismus und Misogynie

Für die Veranschaulichung der Zusammenhänge zwischen Sexismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit bildet die Sexismus-Definition der US-amerikanischen Biologin und trans* Aktivistin Julia Serano eine gute Grundlage. Demnach ist unter Sexismus zum einen die Abwertung von Frauen/Weiblichkeit zu verstehen, zum anderen auch ein System, dass die Eigenschaften, Körper und Sexualitäten von Frauen und Männern sehr eng und als sich gegenseitig ausschließend definiert.2 

Sexismus zeigt sich insbesondere in der Marginalisierung von Frauen, trans* und inter* Menschen. Cis- und endogeschlechtliche Männlichkeit wird dabei ebenso wie Heterosexualität als Norm verstanden3 und cis endo Körper werden alleinig als „normale“ Körper anerkannt. Sämtliche Körper, die diese eng gesteckte Norm der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität in Frage stellen, erfahren Diskriminierung. Zusätzlich erfahren alle LSBTIQ*, die (auch) weiblich sind, als weiblich gelesen werden und/oder weibliche Verhaltensweisen/Eigenschaften aufweisen, Abwertungen und Diskriminierung, da in einer sexistisch und patriarchal strukturierten Gesellschaft Weiblichkeit insgesamt abgewertet wird. 

Der aus dem Altgriechischen stammende Begriff „Misogynie“ wird meist mit „Frauenverachtung und -feindlichkeit“ übersetzt. Darunter lassen sich sämtliche gesellschaftliche Einstellungsmuster fassen, die eine geringere Relevanz/Wertigkeit von Frauen und/oder eine höhere Relevanz/Wertigkeit von Männern vertreten. In westlichen Kulturen gilt ein gewisser Grad an Feindlichkeit gegenüber Frauen als „normal“4 und diese gesellschaftliche Abwertung von Weiblichkeit ist für die kulturelle Erzeugung hegemonialer Männlichkeit entscheidend.5 

Dies zeigt sich an unterschiedlichen Stellen, wenn Eigenschaften, Symbole und Dinge, die als „typisch weiblich“ gelten, herabgesetzt werden. So ist es beispielsweise inzwischen gesellschaftlich anerkannt, wenn Mädchen mit männlich kodiertem Spielzeug spielen oder männlich kodierte Sportarten betreiben. Umgekehrt ist dies weniger der Fall. Auch wird es als normal angesehen, wenn Frauen Hosen tragen. Dass Männer Röcke tragen, kommt hingegen selten vor und wird in der Regel abgewertet beziehungsweise veranlasst andere Menschen zur Unterstellung, dass es sich um schwule Männer oder trans* Frauen handle. So bleibt unsichtbar, dass auch Männern zugeschriebene Eigenschaften, Ideen und Gegenstände nicht neutral sind. 

Feminitätsfeindlichkeit stützt also patriarchale Strukturen, indem sie als weiblich gelesene Attribute abwertet und/oder unsichtbar macht.6 Somit fungiert Misogynie in patriarchal ausgerichteten Gesellschaften als ein Ideologiesystem, in dem Frauen untergeordnete Positionen mit eingeschränktem Zugang zu Macht- und Entscheidungspositionen zugewiesen werden und stellt – in dieser Lesart – einen zentralen Aspekt von Sexismus dar.

Verschränkung von Misogynie und LSBTIQ*-Feindlichkeit

Auf LSBTIQ* wirkt dieses Einstellungsmuster in unterschiedlicher Weise. Ein Schlüsselfaktor bei negativem Verhalten gegenüber LSBTIQ* sind Männlichkeitsnormen.7 Zwar werden gendernonkonforme Repräsentationen und Verhaltensweisen insgesamt entwertet, aber weiblich kodierte Verhaltensweisen und Attribute bei Männern werden meist noch stärker abgewertet.

So erfahren maskuline Schwule seltener homofeindliche Diskriminierung, während weiblich gelesene Schwule in besonderem Maße Ausgrenzung und Ablehnung erfahren. Ein als unmännlich eingeschätztes Verhalten bei Jungen/Männern wird häufig mit einer homofeindlichen Beschimpfung bestraft. Eine Verschränkung mit Misogynie zeigt sich dabei bereits in der Wahl der jeweiligen Begriffe, die als abwertende Bezeichnungen verwendet werden. 

Lesbenfeindlichkeit ist in der Regel anders gelagert. Während feminine Lesben (Femmes) häufig nicht als lesbisch (an-)erkannt werden, werden maskuline Lesben (Butches) eher als unweiblich und damit häufig auch als bedrohlich wahrgenommen. Insgesamt wird das sexuelle Begehren zwischen Frauen oft nicht ernst genommen, da alleinig Penetrationssex (im Sinne von heterosexuellem vaginalem Geschlechtsverkehr) als „richtiger“ Sex anerkannt wird. Lesbischer Sex wird häufig voyeuristisch – quasi als erotischer „Appetitanreger“ für heterosexuelle cis Männer – betrachtet. Dies kann in offensichtliche Gewalt übergehen, wenn „deutlich gemacht wird, dass das Begehren von Männern wirklich nicht willkommen ist“.8 

Männlichkeits- und Weiblichkeitsanforderungen spielen auch bei Trans- und Interfeindlichkeit eine zentrale Rolle. So erleben inter* und trans* Menschen, dass ihnen abgesprochen wird, ein „echter Mann“ respektive eine „echte Frau“ zu sein. Dem liegt häufig eine biologistische Vorstellung von Geschlecht zugrunde. Um als Mitglied des Geschlechts anerkannt zu werden, mit dem sich eine inter* oder trans* Person identifiziert, wird das Vorhandensein bestimmter körperlicher Merkmale erwartet. Dabei wird von stereotypen, sexistischen Geschlechtervorstellungen ausgegangen, die für trans* und inter* Menschen meist viel unflexibler sind als für cis endo Menschen.

Auf Personen, die nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können oder dies explizit nicht wollen, reagieren cis Menschen oft irritiert oder sogar gewalttätig. Auch war es inter* und nicht-binären Menschen bis zur Änderung des Personenstandsgesetzes am 22.12.2018 nicht möglich, durch eine positive Bezeichnung im Geburtenregister aufgeführt zu werden – eine strukturelle Form des Unsichtbarmachens von geschlechtlichen Identitäten jenseits der Zweigeschlechtlichkeit.

Abwertung von Weiblichkeit(en) in LSBTIQ*-Szenen

In einer Kultur, die auf der Unterdrückung und Marginalisierung von Frauen und Weiblichkeit beruht, ist es nicht weiter verwunderlich, „dass auch emanzipatorische Räume von ähnlich normierenden Mustern und Abwertungen durchdrungen sind“.9 Feminitätsfeindlichkeit zeigt sich daher nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch innerhalb von LSBTIQ*-Communitys.10 Hier zeigt sich Abwertung von Weiblichkeit beispielsweise in der unterschiedlichen Anerkennung, die sich feminin, maskulin oder androgyn präsentierende Queers erfahren. 

Auch in vielen queer(feministisch)en Szenen scheint eine Maskulinitätsnorm vorzuherrschen, die mit einer Tendenz einhergeht, Maskulinität und Androgynität hervorzuheben und Darstellungen von Weiblichkeit wie beispielsweise von Femmes oder Tunten11 eher kritisch zu betrachten. 

In manchen schwulen Kontexten gilt es als No-Go, feminin zu wirken. Auch werden Frauen manchmal dezidiert abgewertet, zum Beispiel um die eigene Männlichkeit zu unterstreichen und/oder um die eigenen Privilegien in einer homofeindlichen Mehrheitsgesellschaft aufrecht zu erhalten.12

Innerhalb von lesbischen Communitys werden femme Lesben oft nicht als lesbisch wahrgenommen, manchmal sogar als weniger politisch oder weniger queer angesehen.13 Femininität wird seltener als „Ausdruck von Emanzipation betrachtet, sondern ist mit Stereotypen besetzt, die sich stark an sexistischen Bildern von Unterordnung, Passivität, Künstlichkeit und Hilflosigkeit orientieren“.14

Auch trans* Männlichkeiten und trans* Weiblichkeiten erfahren in LSBTIQ*-Räumen verschiedentliche Formen von Diskriminierung. Ausschlusserfahrungen sind beispielsweise, keinen Einlass in einen schwulen Saunaclub zu bekommen oder das Lesbenfrühlingstreffen nicht besuchen zu können. Insbesondere trans* Frauen wird in lesbischen und queerfeministischen Kontexten oft mit Skepsis, Ablehnung und Unbehagen begegnet und sie werden oft nicht als selbstverständlicher Teil feministischer Bewegung akzeptiert. Von ihnen wird – anders als von cis Frauen – verlangt, sich auf eine bestimmte Weise weiblich zu kleiden und zu verhalten, um als weiblich akzeptiert zu werden. Auch wird ihnen oft abgesprochen, dass sie ebenfalls spezifische Gewalterfahrungen aufgrund dessen machen, dass sie als weiblich gelesen werden. Die Musikerin FaulenzA spricht hier von Transmisogynie.15 

Allianzen und Solidarität 

Sexismus kann also als ein zentraler Faktor verstanden werden, der LSBTIQ*-Feindlichkeit (mit) zugrunde liegt. Um LSBTIQ*-Feindlichkeit zu verstehen, ist es unabdingbar, sich auch mit (internalisierter) Misogynie zu beschäftigen. Sowohl in Szenekontexten als auch in der Mehrheitsgesellschaft zeigt sich eine – sicherlich manchmal auch unbewusste – Orientierung an Denkmustern, in denen cis endo Männlichkeit als Norm sowie Weiblichkeit, Trans- und Intergeschlechtlichkeit als Abweichung gedacht werden.16 

Im Sinne einer Politik des Verbündet-Seins ist die Auseinandersetzung mit solchen internalisierten Diskriminierungsmustern zentral. Verbündete sind Menschen, die selbst von einer bestimmten Diskriminierung nicht betroffen sind, die aber ihren sozialen Status nutzen, um sich gegen Ungerechtigkeiten gegenüber und Diskriminierung von nicht privilegierten Menschen einzusetzen. Sie übernehmen Verantwortung dafür, dass Kultur und Erfahrung von benachteiligten Gruppen sichtbar und Unterdrückungsmechanismen thematisiert werden.17 Ein Bewusstsein über die Funktionsweisen von (Hetero-)Sexismus und (Trans-)Misogynie kann somit zu neuen Allianzen von LSBTIQ* mit cis endo Frauen oder feministischen cis endo Männern führen. 

Schlussendlich würden alle Menschen davon profitieren, wenn das gesellschaftliche Geschlechter(rollen)-Korsett zunehmend etwas weniger eng gestrickt und Grundrechte für alle Menschen jenseits ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung gleichermaßen gelten würden.
 

1 Küpper, Beate/Klocke, Ulrich (2018): "Homophobie": Abwertung von lesbischen, schwulen und bisexuellen Personen. Zuletzt abgerufen am 16.10.2020 von www.bpb.de/gesellschaft/gender/homosexualitaet/265197/homophobie.

2 Vgl. Serano, Julia (2007): Whipping Girl: A Transsexual Woman on Sexism and the Scapegoating of Femininity. Berkeley: Seal Press, S. 104. Siehe auch: Serano, Julia (o. D.): Oppositional Sexism. Zuletzt abgerufen am 17.07.2020 von www.juliaserano.com/terminology.html.

3 N.N. (o. D.): Sexismus. Zuletzt abgerufen am 15.07.2019 von www.diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/sexismus.

4 Rogers, Katharine M. (1966): The Troublesome Helpmate. A History of Misogyny in Literature. Seattle: University of Washington Press, S. 268.

5 Connell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen: Leske und Budrich, S. 74. Connells Begriff der "hegemonialen Männlichkeit" ist inzwischen zu einem Leitbegriff der Männlichkeitsforschung geworden. Hegemoniale Männlichkeit stellt die Form von Männlichkeit dar, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als legitime und erstrebenswerte Form von Männlichkeit angenommen wird.

6 Yaghoobifarah, Hengameh (o. D.): Pink stinkt nicht, ihr Lauchs! Zuletzt abgerufen am 28.05.2019 von maedchenmannschaft.net/pink-stinkt-nicht-ihr-lauchs/.

7 Steffens, Melanie Caroline (2010): Diskriminierung von Homo- und Bisexuellen. Zuletzt abgerufen am 28.05.2019 von www.bpb.de/gesellschaft/gender/homosexualitaet/38863/diskriminierung.

8 Debus, Katharina/Laumann, Vivien (Hrsg.) (2018): Pädagogik geschlechtlicher, amouröser und sexueller Vielfalt. Zwischen Sensibilisierung und Empowerment. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V., S. 54.

9 Martin, Julia (2016): Queere Femininität. Zuletzt abgerufen am 08.06.2019 von www.anschlaege.at/feminismus/2016/03/queere-femininitaet/.

10 Sicherlich sind Sexismuserfahrungen in unterschiedlichen Szenekontexten auch verschieden. Eine klar zu umreißende, singuläre Szene gibt es selbstverständlich nicht, weshalb die hier getroffenen Aussagen keinesfalls für "alle" gelten! Dennoch berücksichtigen sie verschiedene Kontexte und zeigen Tendenzen auf.

11 Mit Tunten meine ich diejenigen Schwulen, die sich selbst so bezeichnen und sich in Szenekontexten weibliche Attribute positiv angeeignet haben.

12 Warnecke, Tilman (2016): Verachten Schwule Frauen? Zuletzt abgerufen am 30.06.2019 von www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/queer-weiss-das-6-verachten-schwule-frauen/13519780.html.

13 Hofschröer, Kim (2016): Femme invisibility. Zuletzt abgerufen am 10.06.2019 von frauenseiten.bremen.de/blog/femme-invisibility.

14 Martin, Julia (2016): Queere Femininität. Zuletzt abgerufen am 08.06.2019 von www.anschlaege.at/feminismus/2016/03/queere-femininitaet/.

15 FaulenzA (2017): Support your sisters not your cisters. Über Diskriminierung von trans*Weiblichkeiten. Münster: edition assemblage.

16 Ebd.

17 Vgl. Adams M./Bell, L./Griffin, P. (2007): Teaching for Diversity and Social Justice. New York: Routledge, S. 141.

Autorin: Carolin Küppers

Kurzbiografie: Carolin Küppers, Dr. phil., Postdoc im Projekt "Food for Justice" an der Freien Universität Berlin und Diversity-Trainerin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschlechtersoziologie, Ernährungssoziologie, Qualitative empirische Sozialforschung, Intersektionalität und Queer Studies.