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Lesben und ihr Kampf um Anerkennung

Lesben existierten in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten, und doch ist der Kampf um Sichtbarkeit und ein selbstbestimmtes Leben damals wie heute aktuell. Von Sappho bis Hexen, von KV bis Queers – Lesben engagierten und engagieren sich bei vielen politischen Bewegungen in vorderster Reihe.

Das Wort „Lesbisch“/„Lesbe“ (früher „Lesbierin“) stammt von der griechischen Insel „Lesbos“. Dort lebte im 6. Jahrhundert vor unserer Zeit die Dichterin Sappho. Überliefert sind die berühmten Lesungen in ihrer Schule für weibliche Studentinnen. Sapphos Ruhm gründet sich auf erhaltene Gedichtfragmente, in denen sie die Beziehungen und Liebe zwischen Frauen preist. Der Begriff „Lesbe“ wird weltweit als Bezeichnung für Frauen-liebende Frauen benutzt, auch wenn diese sich nicht alle notwendigerweise mit dem Wort identifizieren. 

In Deutschland wurden über die Jahrhunderte verschiedene Begriffe verwendet: Sapphistin, homosexuelle Frau, Tribade, Kesser Vater/KV. In den letzten zwanzig Jahren wird auch zunehmend „queer“ benutzt, oder Lesben werden als Teil der LSBTIQ*-Community mitgenannt. Im englischsprachigen Kontext sind auch die Begriffe „Butch“ (analog zu KV), „femme“ und „Dyke“ wichtig und fanden auch in den deutschen Sprachgebrauch Eingang, sichtbar zum Beispiel anhand des 2013 erstmals durchgeführten „Dyke March“ in Berlin. 

Doch was heißt „Lesbischsein“ eigentlich heute? Jede Lesbe wird wohl eine ganz individuelle Definition für sich gefunden haben. Gemeinsam sind ihnen aber oft die Folgen eines Comingouts: Insbesondere vor der sozialen und rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen waren dies häufig der Verlust einer Arbeitsstelle und von Freund*innen und Bekannten, der Entzug des Sorgerechts für die eigenen Kinder sowie Anfeindungen in der Öffentlichkeit, von Polizei und Herkunftsfamilie. Auch wenn in Deutschland gleichgeschlechtliche Partnerschaften seit 2001 legalisiert sind, so haben die Jahrzehnte der Diskriminierung zu immer neuen Überlebensstrategien in jeder neuen Lesbengeneration geführt. 

Die 20er- bis 40er-Jahre: Von einer Zeit des Aufbruchs zur Verfolgung

In den 1920er-Jahren gab es in Deutschland mehr lesbische Zeitschriften, Bars, Cafés, Clubs und Vereine als heute – etwa 300 allein in Berlin. Das Ende des Kaiserreichs und des Ersten Weltkrieges brachten eine Zeit des Aufbruchs und der Infragestellung alter Normen. In Zeitschriften wie „Die Freundin“, „Garçonne“ oder „BIF“ (Blätter Idealer Frauenfreundschaft) fanden Lesben die Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu treten, die Diskurse über lesbische Existenz mitzuverfolgen und sich als gleichwertiger Teil der Weimarer Gesellschaft zu erleben.1 So forderte auch das 1919 von Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualwissenschaft, die Gesetze gegen Homosexualität aufzuheben.

Schon 1921 proklamierte die frühe schwul-lesbische Hymne „Das Lila Lied“: „Wir sind nun einmal anders als die andern“, und forderte gleichzeitig zur Toleranz auf. Die Sozialaktivist*innen Erika Mann und ihre Geliebte Pamela Wedekind performten 1925 ein lesbisches Paar auf der Bühne.2 Die unvergleichliche Marlene Dietrich verbreitete den „lesbischen“ Dresscode und das Lebensgefühl Berlins in der Welt und wagte es, 1930 in dem Film „Marocco“ einen Kuss zwischen zwei Frauen auf die Leinwand zu bringen. Atemberaubend auch Dekaden später.

Claire Waldoffs offen lesbischer und gendernonkonformer Song „Hannelore“ (1930) wurde zum Gassenhauer – trotz oder gerade wegen der normbrechenden Textzeilen wie: „Süßes, reizendes Geschöpfchen / Mit dem schönsten Bubiköpfchen / Keiner unterscheiden kann / Ob du Weib bist oder Mann.“3 Die Frauen und Lesben, Avantgardekünstler*innen und -denker*innen dieser Ära konnten sich sicher kaum vorstellen, dass ihre hart erkämpften Freiheiten und sogar die Erinnerung daran von der kommenden Nazi-Herrschaft fast vollständig ausgelöscht werden würden.

Die Waldoff erhielt Auftrittsverbot, die Dietrich verließ Deutschland und gab sogar ihre Staatsbürgerschaft aus Protest auf. Lesben wurden mit dem Stempel „asozial“ (schwarzes Dreieck) in die Konzentrationslager verschleppt. In zwölf bitteren Jahren gab es kaum Raum für lesbisches Leben in Deutschland, aber es überlebte im Untergrund.4 Das Buch „Aimée und Jaguar“ bezeugt eine jüdisch-nichtjüdische lesbische Liebesbeziehung in dieser Zeit.5

Die 60er- bis 80er-Jahre: Frauenbewegung, Stonewall und Walpurgisnacht

In einer Zeit vor Internet und Smartphones fühlten sich viele Lesben als die „einzigen ihrer Art“, und doch fanden sie in politischen Gruppen zusammen und machten sich daran, das „lesbische Rad“ erneut zu erfinden. 

In den 1960er- und 1970er-Jahren engagierten sich viele Lesben in der Frauenbewegung oder in der frühen Schwulenbewegung. Doch in beiden Bewegungen wurden sie häufig marginalisiert oder sollten vor allem unsichtbar bleiben – so kam es zum Beispiel 1970 in der Frauenbewegung zum lesbischen Aufruhr, als heterosexuelle Feministinnen ihre lesbischen Mitstreiterinnen als „lavender menace“ (dt: lila Bedrohung) beziehungsweise Gefahr für die feministische Sache bezeichneten. 

Dies führte zur Abspaltung von Gruppen, die die lesbische Sichtbarkeit auf ihre Fahnen schrieben, unter anderen die Organisator*innen der Berliner Lesbenwoche 1985-1997. Das Lesbenarchiv und die Bibliothek „Spinnboden“ in Berlin wurde 1973 eingerichtet und bietet seitdem eine wunderbare Quelle für lesbische Geschichte und Kultur. 1974 wurde das erste Lesbenfrühlingstreffen (LFT) ausgerichtet und es besteht bis heute fort, jeweils von einer neuen Städtegruppe organisiert.6

Die Walpurgisnacht war über Jahrzehnte das wichtigste Fest der Frauen- und Lesbenbewegung, wenn nach alter Tradition die Hexen sich am Brocken in den Harzer Bergen trafen. Die Straßen wurden von jungen und alten Frauen und Lesben mit lauten ungezähmten Demonstrationen und der Forderung nach Gleichberechtigung erobert. 

In der DDR wurde 1978 das erste landesweite Lesbentreffen organisiert. In den 1980er-Jahren formten sich verschieden Arbeitsgruppen, die sich häufig auch in kirchlichen Räumlichkeiten trafen, da es keine anderen Möglichkeiten gab.

Trotz der vielen lesbischen Aktivitäten und Bewegungen lebten die meisten Lesben, ob im Osten oder Westen, ohne politisches Engagement und versteckten ihre Sexualität. Ein offensives Comingout kam vor den 1980er-Jahren in Deutschland nur für wenige in Frage. Stattdessen gab es verschiedene Strategien des Lebens und Überlebens. So definierten sich viele Lesben als femme oder Butch. Dies beinhaltete einen Dresscode, der dem gegenseitigen Erkennen unter Lesben diente. 

In den USA führte derweil die Verfolgung von Butches und trans* Menschen durch die Polizei zum berühmten Aufstand 1969 in der Stonewall Inn und zum heutigen Christopher Street Day.

Ab den 1980er-Jahren: Intersektionalität und Sichtbarkeit 

Die ersten Auseinandersetzungen um das, was heute als Intersektionalität bezeichnet wird, zeigten sich bereits in den Lesbenzusammenkünften der 1980er-Jahre. Die Diskussionen kamen mit internationalen Schriften und Büchern nach Deutschland, aber mit den 90ern vermehrt auch durch die Präsenz und Wortmeldungen der Lesben mit schwarzen Wurzeln, Lesben of Color, jüdischen, türkischen und migrantischen Lesben. 

Im Laufe des Diskurses wurde immer deutlicher, dass Lesben keine homogene Masse darstellten, sondern vielmehr der unterschiedliche Zugang zu Privilegien und Ressourcen eine große Rolle spielte. Es macht(e) einen riesigen Unterschied, ob eine Lesbe mit einer Behinderung lebt oder nicht, auf dem Land oder in der Stadt wohnt, finanziell unabhängig ist oder nicht, Kinder hat oder nicht, und welcher Kultur-, Migrations-, Religions- oder Fluchthintergrund besteht. All dies bestimmt die Diskriminierungen und Problemfelder, mit denen eine Person konfrontiert ist.

Schwarze, jüdische und migrantische Lesben in der Frauen- und Lesbenbewegung

Audre Lorde, in eigenen Worten „Schwarze, Lesbe, Mutter, Kriegerin und Dichterin“ aus dem USA, war von 1984 bis 1992 mit Lesungen, Diskussionveranstaltungen und persönlichem Engagement in Deutschland aktiv. Die Wirkung für die Rassismus-Bewusstmachung der deutschen Frauen- und Lesbenbewegung ist nicht zu unterschätzen. Sie inspirierte die Schwarze Bewegung in Deutschland, unterstützte Schwarze Lesben und Lesben of Color als Mentorin und war für die weißen Lesben und Frauen oft der Grund, sich dem Thema Rassismus zu stellen und dessen Dringlichkeit zu begreifen.7

Der lesbische Schabbeskreis, 1984 von jüdischen und nichtjüdischen Frauen und Lesben, Migrantinnen und Schwarzen Frauen und Lesben gegründet, war ein sehr aktives Diskussions- und Aktionsforum, das Antisemitismus in der Lesbenbewegung aufdecken wollte und dagegen protestierte. 

Türkische Lesben protestierten in Einzelaktionen gegen Rassismus, der gegen sie gerichtet war (euphemistisch als Ausländerfeindlichkeit bezeichnet). 1984 wurde in Frankfurt der erste bundesweite Migrantinnenkongress durchgeführt. 

Schwarze Frauen und Lesben gründeten 1987 die ADEFRA. 1991 protestierten Schwarze Lesben auf dem Abschlussplenum der Berliner Lesbenwoche mit einer Schreckschusspistole gegen rassistische Äußerungen, in dem sie immer abgefeuert wurde, wenn es wieder solche Bemerkungen der weißen Teilnehmenden gab. Diesem Protest und der damit verbunden Diskussion folgten zwei Lesbenwochen in 1993 und 1994, die sich ausschließlich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzten.8

Alle diese Gruppen nutzen die empowernde Wirkung von eigenen Räumen, um einander zu unterstützen und die eigene Identität zu erforschen und zu stärken. 

Queere Bewegung

Ab Ende der 1990er-Jahre wurde mit dem Begriff „queer“ ein ursprünglich negativ besetztes Wort im politischen Prozess der Wiederaneignung zum Kampfbegriff umgewandelt, unter dem sich eine neue Generation von lsbtiq* Aktivist*innen formierte. Unter anderem wurde die Dekonstruktion von Geschlechterrollen zu einem wichtigen Thema und der Begriff „Intersektionalität“ in den Vordergrund gestellt. 

Während „queer“ vor allem für eine jüngere Generation und Bewegung ein häufig verwendeter Identitätsbegriff wurde, sahen manche Protagonist*innen der vorangehenden Generationen ihre Errungenschaften der lesbischen Sichtbarkeit und Identität außer Kraft gesetzt und gingen dem neuen Diskurs aus dem Weg. Andere sahen, dass die queere Bewegung mehr Inklusion und die Chance zur politischen Koalitionsarbeit mit sich brachte. Auch entstanden dadurch neue Selbstbezeichnungen wie zum Beispiel „non-binary“, „trans“ und „FLINT“ (Frauen, Lesben, Inter, non-binary und trans*).

Was wird die Zukunft für lesbische Identität und Sichtbarkeit bringen?

So gab es immer wieder Wellen von lesbischer Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Während die Gegensatzpaare der alten Geschlechterrollen weltweit mehr und mehr dekonstruiert werden, wird es Lesben möglicherweise leichter fallen, als sie selbst zu leben, ohne äußere und innere Zwänge. 

Sicher werden sich mehr lesbische Aktivist*innen in einem Lebenslauf oder Job-Interview offen auf ihre Biografie und politischen Aktivitäten beziehen können. Ebenso sind der Kampf und die solidarische Unterstützung zur Durchsetzung der Bürger*innenrechte für Lesben in vielen Ländern der Welt weiterhin aktuell. 

Auch Preise und Aktionstage – wie zum Beispiel der Tag der lesbischen Sichtbarkeit am 26. April und der Welt Lesben* Tag am 8. Oktober jeden Jahres oder die 2018 vom Land Berlin und 2020 vom Land Hessen ausgelobten Preise für lesbische Sichtbarkeit – verfolgen das Ziel, die immer wieder unterrepräsentierte Geschichte der Unterdrückung, des Überlebens und des Kampfes von Lesben aufzuzeigen.

Zu wünschen ist uns allen, dass die Power, der Einsatz und der Mut vieler Lesben, der ihrem Überlebenskampf über Jahrhunderte geschuldet war, auch weiterhin lebendig bleiben. Von „lila Bedrohung“ bis „Lesbenpower“: lesbisches Leben und Sichtbarkeit sind der Stoff, aus dem sich Revolutionen stricken lassen.

1 Kokula, Ilse (1986): Jahre des Glücks, Jahre des Leids – Gespräche mit älteren lesbischen Frauen. Frühlings Erwachen 10. Kiel: Hansa Druck.
2 Wendt, Gunna (2018): Erika und Therese. Erika Mann und Therese Giehse – Eine Liebe zwischen Kunst und Krieg. München: Piper Verlag.
3 Roth, Sylvia (2016): Claire Waldoff – Ein Kerl wie Samt und Seide. Freiburg: Herder.
4 Schoppmann, Claudia (1993): Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im "Dritten Reich". Berlin: Orlanda Frauenverlag.
5 Fischer, Erica (1995): Aimée & Jaguar. Eine Liebesgeschichte, Berlin 1943. Köln: Kiepenheuer und Witsch.
6 Rauchut, Franziska (Hrsg.) (2007): In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben. Berlin: Querverlag.
7 Piesche, Peggy (2012): Euer Schweigen schütz Euch nicht. Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland. Berlin: Orlanda Frauenverlag.
8 Gammon, Carolyn/Oguntoye, Katharina (1994): Rassismus – 9. Berliner Lesbenwoche Dokumentation. Berlin: Joliba Books.
 

 

Autorinnen

Carolyn Gammon ist Autorin und lesbische Aktivistin. Sie war an der Gründung der Lesbian Studies in Kanada beteiligt und engagiert sich bei der Berliner Lesbenwoche. Carolyn arbeitet als Reiseleiterin für das jüdische Berlin und hat Bücher mit Holocaust-Überlebenden verfasst.

Katharina Oguntoye ist Historikerin, Herausgeberin, Autorin, Aktivistin und prägte die Afrodeutsche Bewegung. Seit Mitte der 90er ist sie Leiterin und Mitbegründerin des Vereins Joliba – Interkulturelles Netzwerk in Berlin e.V. 2020 wurde sie mit dem Preis für lesbische Sichtbarkeit ausgezeichnet.