Queersein und Glaube
Religion und Homosexualität gelten oft als Gegensatz. Auch für Menschen, die nicht in ein einfaches Mann-Frau-Schema passen, können religiöse Kontexte schwierig sein. Wie gehen gläubige Lesben und Schwule, bisexuelle, trans- oder intergeschlechtliche Menschen mit dieser Situation um?

Kein Zweifel: Unter den offiziellen Äußerungen zu Homosexualität„Homosexuell" (griech. „homos“: gleich; lat. „sexus“: Geschlecht) ist ein historischer Begriff, der sexuelle Handlungen, Begehren und Beziehungen zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts beschreibt. aus den großen, in Deutschland vertretenen Glaubensgemeinschaften überwiegen verhalten-skeptische bis verurteilende Stimmen. BisexuelleBisexuelle Menschen beschreiben ihre sexuelle Orientierung unterschiedlich: Als romantische und/oder sexuelle Anziehung zu Frauen und Männern, als Anziehung zu dem eigenen Geschlecht oder zu generell mehr als einem Geschlecht., transTransgeschlechtliche Menschen identifizieren sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.- oder intergeschlechtlicheIntergeschlechtliche (lat. „inter“: zwischen) Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen. Menschen stehen weniger im Fokus, werden aber auch selten offen willkommen geheißen.
Queer und gläubig sein, geht das?
Wegen LSBTIQ„LSBTIQ*“ oder ähnliche Zusammensetzungen dienen als Abkürzung für „Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen“. „Lsbtiq*“ steht entsprechend für „lesbisch, schwul, bisexuell, trans-, intergeschlechtlich und queer“.-skeptischen oder -feindlichen Äußerungen von religiöser Seite oder auch persönlichen Ausschlusserfahrungen halten viele LSBTIQ und ihre CommunitysDer Begriff „Community“ (dt.: Gemeinschaft, Gemeinde) bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen, Eigenschaften oder Erfahrungen einander zugehörig fühlen. Distanz zu religiösen Organisationen, manchmal auch zu Religion allgemein. Aber es gibt sie: Den schwulen Moscheebesucher, die transsexuelle lesbischeFrauen, die sich emotional und/oder sexuell in erster Linie zu Frauen hingezogen fühlen, bezeichnen sich häufig als lesbisch. Pastorin, das intergeschlechtliche Pfarrgemeinderatsmitglied, den bisexuellen Theologen.
Allerdings finden sich LSBTIQ, die selbst gläubig sind oder sich für Spiritualität und Glaube interessieren, oft in einer zweifach – von anderen LSBTIQ und von anderen Gläubigen – unverstandenen Position wieder.
Manche erleben Phasen, in denen ihre sexuelle OrientierungDie sexuelle Orientierung beschreibt, mit Menschen welchen Geschlechts oder welcher Geschlechter jemand eine sexuelle und/oder romantische Beziehung eingehen möchte. oder ihr GeschlechtGeschlecht ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Ordnungsprinzip und eine einflussreiche soziale Kategorie. und ihr Glaube in einer Spannung zueinander stehen. Andere sehen ihr Lieben und Sein im Einklang mit ihrem Gottesbild und der Ethik, die ihre Religion ihnen vermittelt. Oder sie berichten sogar, dass ihre Gottesbeziehung oder Spiritualität eine Kraftquelle auch in der Auseinandersetzung mit LSBTIQ-feindlichen Umgebungen sei.
Getrennte Welten verbinden: Vernetzung, Aufklärung, theologische Spurensuchen
Viele gläubige LSBTIQ suchen Kontakt zu anderen LSBTIQ in ihrer Glaubensgemeinschaft, um sich gegenseitig zu unterstützen. Manchen ist es auch wichtig, cisDie Begriffe „cisgeschlechtlich“, „cisgender“ oder „cis“ (lat. „cis-“: diesseits) beschreiben Menschen, die sich dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.-heterosexuelleWenn Frauen sich von Männern romantisch und/oder sexuell angezogen fühlen, oder Männer von Frauen, werden sie als heterosexuell bezeichnet. Zugleich beschreibt „heterosexuell“ auch sexuelle Handlungen zwischen einer Frau und einem Mann. Gläubige mehr über gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Inter- oder Transgeschlechtlichkeit erfahren zu lassen, um Vorurteile und Nichtwissen abzubauen.
Andere setzen sich mit den Begründungen für religiöse Verurteilungen von Homosexualität oder für eine starre Mann-Frau-Unterscheidung auseinander. Sie fordern zum Beispiel, die jeweiligen Belegstellen in den heiligen Schriften in ihrem historischen Kontext und Aussagezusammenhang zu betrachten. Oder sie gehen alternativen Lesarten oder Traditionslinien in der Geschichte ihrer Glaubensgemeinschaft nach, die ein LSBTIQ-offeneres Verständnis von Partnerschaft, Sexualität und Geschlecht nahe legen.
Im Miteinander der Gemeinde erfahren LSBTIQ bisweilen mehr Offenheit und Wertschätzung, als die offizielle Haltung der jeweiligen Leitung vermuten lassen. Manche gründen jedoch auch eigene Gruppen oder Gemeinden – mitunter gemeinsam mit Gläubigen, die sich aus anderen Gründen in restriktiveren Gemeinden nicht wohl fühlen.