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Wie können weiße LSBTIQ*-Organisationen Rassismus abbauen?

Entgegen dem eigenen Anspruch erreichen viele LSBTIQ*-Einrichtungen in Deutschland kaum Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- oder intergeschlechtliche Menschen mit Rassismuserfahrung. Warum ist das so und wie lässt es sich ändern?

Wenn es um LSBTIQ* in Deutschland geht, werden die Erfahrungen von schwarzen Deutschen, Rom*nja und Sinti*ze1, Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte und anderen LSBTIQ* of Color oft unsichtbar gemacht. Nicht nur neu Angekommene, sondern auch Menschen, die schon in der vierten und fünften Generation in Deutschland beheimatet sind, kämpfen um Anerkennung und Gleichberechtigung in der Mehrheitsgesellschaft – und auch in den von weißen Menschen dominierten LSBTIQ*-Räumen und -Organisationen.

Dass auch dort die Lebensrealitäten von Queers of Color oft nicht berücksichtigt werden und sie subtil oder offen ausgeschlossen werden, hat Folgen: Fast 40 Prozent der von Rassismus betroffenen LSBTIQ* meiden Orte, die sich nicht explizit antirassistisch positionieren2. Das beschränkt ihre Möglichkeiten, die Beratung und Unterstützung zu erhalten, die LSBTIQ*-Organisationen eigentlich zur Verfügung stellen möchten.

Welche Erfahrungen machen rassismusbetroffene LSBTIQ* in LSBTIQ-Organisationen?

Laut einer Befragung der Lesbenberatung Berlin wird Rassismus in queeren Szenen vergleichbar mit dem Rassismus der Gesamtgesellschaft wahrgenommen3. LSBTIQ* of Color sind nicht ausreichend in LSBTIQ*-Organisationen vertreten und repräsentiert. Für Themen, die die Lebensrealitäten von LSBTIQ* mit Rassismuserfahrungen betreffen, besteht oft keine Beratungskompetenz. Für Angehörige, die kein Deutsch sprechen, gibt es kaum Infomaterial. Auch erfahren LSBTIQ* of Color subtile Ausschlüsse, indem zum Beispiel Homo- und Transfeindlichkeit zum Problem bestimmter Kulturen oder Glaubensrichtungen erklärt werden. Die Botschaft ist dann: „Deine Kultur ist sexistisch“ oder „Deine Religion ist homofeindlich“.

Auch das populäre Konzept Comingout kann eine Hürde darstellen, insofern es vor allem auf Lebenssituationen weißer Menschen zugeschnitten ist. Viele Queers, die von Rassismus betroffen sind, erleben dadurch nur begrenzt Befreiung, weil sie spätestens dann mehrfach und komplex von Diskriminierungen betroffen sind und sich ihre Situation dadurch mitunter verschärft.

Wie können weiß dominierte LSBTIQ*-Einrichtungen inklusiver werden?

Wenn Organisationen ihre Angebote für Queers of Color verbessern wollen, können folgende Fragen dabei helfen:

  • Sind bei uns verschiedenste gesellschaftliche Gruppen vertreten – unter den Mitarbeitenden und auf Leitungsebene?
  • Welche Haltungen gibt es bei uns zu rassistischen Vorurteilen? Wer gilt beispielsweise als gefährlich, demokratiefeindlich, intolerant oder homofeindlich?
  • Sind unsere Angebote auch auf Nutzer*innen of Color ausgerichtet – beispielsweise indem Infomaterialien mehrsprachig erstellt werden oder auch Peer-Berater*innen of Color im Team sind?
  • Wie lässt sich ein Schutzraum für von Rassismus betroffene LSBTIQ* einrichten?
  • Sind alle mit Themen der Mehrfachdiskriminierung vertraut? Wie findet eine Sensibilisierung dazu statt?
  • Kann unsere Organisation bei der Mittelvergabe unabhängig oder auch explizit rassismuskritisch agieren – beispielsweise indem sie bei der Einstellung und Bezahlung von Mitarbeitenden neben formalen Bildungsabschlüssen auch Erfahrungsexpertisen berücksichtigt – oder ist sie dabei an mitunter ausschließende Förderrichtlinien gebunden? Wer bewertet den Erfolg oder Misserfolg der Projekte und von welcher Perspektive ist die (Weiter-)Finanzierung abhängig?
  • Wenn es bereits Diskriminierungsfälle innerhalb der Einrichtung gab: Wie wurde damit umgegangen? Werden Diskriminierungen dokumentiert? Gibt es feste Ansprechpersonen für Diskriminierungsfälle?

Sicherlich ergeben sich aus den Antworten auf diese Fragen viele Ansatzpunkte für Verbesserungen, aber auch neue Fragen und gegebenenfalls Unsicherheiten. Auch lassen sich Organisationen nicht von heute auf morgen verändern: Für eine inklusivere Gestaltung der eigenen Arbeit, Strukturen und Angebote braucht es einen langen Atem.

Bei diesem Prozess können beispielsweise rassismuskritische Sensibilisierungsworkshops oder Queers of Color beziehungsweise deren Organisationen unterstützen – sei es durch externe Beratung oder interne Mitarbeit.

1 Bei „Rom*nja und Sinti*ze“ handelt es sich um die gegenderte Version von „Roma und Sinti". Vgl. Neue deutsche Medienmacher e. V. (2019): „Roma“ sowie „Sinti“. In: NdM-Glossar. Wörterverzeichnis der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) mit Formulierungshilfen, Erläuterungen und alternativen Begriffen für die Berichterstattung in der Einwanderungsgesellschaft. Zuletzt abgerufen am 04.12.2023 von Glossar – Glossar | Neue Deutsche Medienmacher (neuemedienmacher.de).

2 LesMigraS – Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin e.V. (Hrsg.) (2012): "... nicht so greifbar und doch real". Eine quantitative und qualitative Studie zu Gewalt- und (Mehrfach-) Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, bisexuellen Frauen und Trans* in Deutschland, S. 104. Zuletzt abgerufen am 04.12.2023 von https://lesmigras.de/wp-content/uploads/2021/11/Dokumentation-Studie-web_sicher.pdf.

3 Ebd., S. 189.

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