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Bin ich intergeschlechtlich?

Woher weiß ich, ob ich intergeschlechtlich bin?

Viele Menschen erfahren erst spät, dass ihr Körper nicht eindeutig männlich oder eindeutig weiblich ist. Einigen wurde es in der Kindheit verschwiegen, bei anderen wird es erst später sichtbar. Oder sie haben eine medizinische Diagnose bekommen, die sie nicht mit Intergeschlechtlichkeit in Verbindung bringen.

Was sind Anzeichen dafür, dass ich intergeschlechtlich sein könnte?

Möglicherweise haben Sie in der Pubertät gemerkt, dass sich Ihr Körper anders entwickelte als die Körper Gleichaltriger.

Oder Sie entdecken in Ihrer Biografie Hinweise auf besondere Untersuchungen und „Behandlungen“ Ihres körperlichen Geschlechts: zum Beispiel häufige Genitaluntersuchungen, Blutanalysen oder Hormongaben, die Ihnen nicht richtig erklärt wurden, oder Narben im Genital- oder Leistenbereich.

Die zuvor genannten Aspekte können jedoch die Frage, ob Sie intergeschlechtlich sind, nicht abschließend klären. Wenn Sie Sicherheit darüber gewinnen möchten, ob Ihr Körper Variationen der Geschlechtsmerkmale aufweist, die als intergeschlechtlich bezeichnet werden können, sind endokrinologische und humangenetische Untersuchungen dafür erforderlich. Im Vorfeld einer medizinischen Klärung kann auch der Austausch mit anderen inter* Personen eine Hilfe sein, die jedoch das Aufsuchen von spezialisierten Mediziner*innen nicht ersetzt.

Kann ich auch intergeschlechtlich sein, wenn meine Genitalien „normal“ aussehen?

Ja. Manche Formen der Intergeschlechtlichkeit sind am äußeren Genital nicht erkennbar.

Kann ich auch intergeschlechtlich sein, wenn ich keine Diagnose habe?

Ja. Oft hängt es von Zufällen ab, ob Intergeschlechtlichkeit medizinisch erkannt und benannt wird.

Welche medizinischen Diagnosen können gestellt werden, wenn ich intergeschlechtlich bin?

Wenn im Rahmen einer Untersuchung zum Beispiel, aber nicht nur, das sogenannte Adrenogenitale Syndrom (AGS), Androgenresistenz (AIS, PAIS, CAIS), das „Klinefelter-Syndrom“ oder das „Ullrich-Turner-Syndrom“ festgestellt wird, sind Sie intergeschlechtlich. Aus Perspektive der Medizin wird in diesem Kontext zum Teil noch von „disorders of sex development (DSD; dt.: Störungen der Geschlechtsentwicklung) gesprochen. Inter*-Initiativen lehnen diese Bezeichnung ab, mit der Begründung, sie stelle gesunde intergeschlechtliche Körper als krankhaft und behandlungsbedürftig dar. Aber auch im Bereich der Medizin zeichnet sich ein Wandel ab. So sprechen beispielsweise das Universitätsklinikum Ulm oder das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“.1 Auch hier zeigt sich demnach eine Tendenz zur Entpathologisierung. Inter*-Organisationen nutzen mitunter stattdessen die Bezeichnung „Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale“.2

Mehr Informationen zum Thema gibt es im Beitrag Die medizinische Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“.

Muss ich als inter* Person medizinisch behandelt werden?

Nicht zwangsläufig müssen sich inter* Personen in medizinische Behandlung begeben. In seltenen Fällen machen lebensbedrohliche Komplikationen im Kindesalter medizinische Eingriffe notwendig. Geschlechtsverändernde Operationen, die früher zum Teil ohne eigene Einwilligung durchgeführt wurden, sind heute nicht mehr zulässig. Nach dem seit 2021 geltenden „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ sind derartige Eingriffe nur noch möglich, wenn diese nicht später durchgeführt werden können und die Zustimmung eines Familiengerichtes vorliegt.3 Bei erwachsenen inter* Personen kann die Unterstützung durch spezialisierte Mediziner*innen beispielsweise dann hilfreich sein, wenn ein Kinderwunsch vorliegt und die Fruchtbarkeit eingeschränkt ist.

Kann ich selbst entscheiden, dass ich intergeschlechtlich bin?

Nein. Auch wenn es in der Medizin und unter „Betroffenen“ unterschiedliche Auffassungen darüber gab und gibt, welche Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale im engeren Sinne als intergeschlechtlich zu bezeichnen sind: In jedem Fall geht es dabei um eine angeborene körperliche Tatsache.

Inter* Personen machen damit sehr unterschiedliche Erfahrungen – von Beschämung bis hin zu medizinischen Eingriffen ohne ihr Einverständnis. Ihren Erzählungen davon wird bislang nur sehr wenig Raum gegeben. Wie bedeutsam aber die Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen für die Biografie intergeschlechtlicher Menschen sein kann, zeigt der Beitrag Inter*-Biografien: Die eigene Geschichte ans Licht holen.

Bin ich als inter* Person kein richtiger Mann, keine richtige Frau?

Zu erfahren, dass der eigene Körper intergeschlechtlich ist, kann ein Anstoß sein, auch über die eigene Geschlechtsidentität nachzudenken. Wichtig dabei ist: Ob Sie sich als Mann oder Frau, in einem anderen oder ohne Geschlecht erleben und wie Sie leben möchten, können nur Sie allein sagen. Ihre Aussage dazu ist genauso gültig wie die anderer Menschen über deren Geschlechtsidentität.

Wie finde ich andere inter* Menschen?

Inter* Personen tauschen sich in Selbsthilfegruppen, Internetforen oder politischen Initiativen aus, organisieren Tagungen und in einzelnen Großstädten auch regelmäßige Treffen. Kontakt vermitteln Inter*-Verbände und Beratungsstellen.

1 Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (o. A.): „Varianten der Geschlechtsentwicklung (englisch: Differences of Sex Development, DSD)“. In: https://www.uksh.de/. Zuletzt abgerufen am 26.04.2023 von https://www.uksh.de/kinderhormonzentrum-luebeck/Varianten+der+Geschlechtsentwicklung+%28DSD%29.html; Universitätsklinikum Ulm (2023): „Schwerpunkt DSD (Varianten der Geschlechtsentwicklung, engl. "differences of sex development")“. In: https://www.uniklinik-ulm.de/. Zuletzt abgerufen am 26.04.2023 von https://www.uniklinik-ulm.de/kinder-und-jugendmedizin/sektionen-ambulanzen-und-arbeitsbereiche/sektion-paediatrische-endokrinologie-und-diabetologie/schwerpunkte-der-sektion/varianten-der-geschlechtsentwicklung-dsd.html

2 Intergeschlechtliche Menschen e.V. (o. A.): Wissen, Beratung, Selbsthilfe und Rechte für intergeschlechtlich geborene Menschen, ihre Familien und Angehörigen sowie ihr weiteres Umfeld, S. 6. Zuletzt abgerufen am 30.05.2023 von im-ev.de/wp-content/uploads/2021/06/Broschuere_IMeV_web.pdf.

3 Bundesministerium der Justiz (2021): „Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen“. In: www.bmj.de. Zuletzt abgerufen am 09.03.2023 von https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Verbot_OP_Geschlechtsaenderung_Kind.html.