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Inter*-Rechte sind Menschenrechte!

Wer kämpft für die Menschenrechte intergeschlechtlicher Personen? Was sind ihre zentralen Forderungen?

Lange wurde in der Moderne über Intergeschlechtlichkeit nur als medizinisches „Problem“ gesprochen, das medizinisch zu „lösen“ sei. Dass sich das geändert hat und die Situation intergeschlechtlicher Menschen zunehmend als eine Menschenrechtsfrage erkannt wird, ist jenen zu verdanken, die seit etwa den 1990er-Jahren ihre Stimme erhoben haben – zunächst als Einzelne, dann in Zusammenschlüssen. Stand Intergeschlechtlichkeit bis dahin vor allem im Fokus der Medizin, bringen inzwischen, neben den Betroffenen selbst, auch Expert*innen unter anderem der Rechtswissenschaft oder der Sozial- und Geisteswissenschaften ihre Perspektive mit ein.

Meilensteine auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung für intergeschlechtliche Menschen waren die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie“ im Jahr 1996 sowie der Selbsthilfeorganisation „XY-Frauen“ im Jahr 1998, aus der 2004 der Verband „Intersexuelle Menschen e. V.“ (2021 umbenannt in „Intergeschlechtliche Menschen e. V.“) hervorgegangen ist.1

Eine wichtige Rolle spielt außerdem die Initiative „Organisation Intersex International“, kurz OII, welche 2003 gegründet wurde und die Belange von inter* Personen in einem weltweiten Kontext vertritt.2 Im Jahr 2008 entstand eine deutsche Sektion innerhalb der Organisation.

Ebenfalls im Jahr 2008 erstellte „Intersexuelle Menschen e. V.“ einen sogenannten Schattenbericht, welcher die ohne eigene Einwilligung erfolgten medizinischen Eingriffe an inter* Personen als Menschenrechtsverletzungen anprangerte.3 Dies war der entscheidende Anstoß für einen tieferen Diskurs zwischen Politik, medizinischen Fachgesellschaften sowie weiteren wissenschaftlichen Disziplinen wie den Gender Studies und Betroffenenvertretungen, der bis heute anhält.

Wofür kämpft die Inter*-Menschenrechtsbewegung?

Inter*-Organisationen setzen sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit, für Selbstbestimmung und gesellschaftliche Anerkennung intergeschlechtlicher Menschen ein. Sie fordern unter anderem (beispielsweise in der „Öffentlichen Erklärung des Dritten Internationalen Intersex Forums“):

  • die Praxis nicht lebensnotwendiger geschlechtsverändernder Eingriffe ohne die freie und voll informierte Einwilligung der intergeschlechtlichen Person endgültig zu beenden. 
  • intergeschlechtlichen Menschen vollen Zugang zu den Daten über ihre Behandlungsgeschichte zu ermöglichen.
  • geschehenes Unrecht anzuerkennen, aufzuarbeiten und zu entschädigen.
  • Praktiken der Präimplantations-/Pränataldiagnostik, die auf die Verhinderung von Geburten intergeschlechtlicher Babys zielen, zu beenden.
  • allen intergeschlechtlichen Menschen bei Bedarf Zugang zu psychosozialer und Peer-Beratung zu gewähren, in der Intergeschlechtlichkeit nicht als behandlungsbedürftige Störung betrachtet wird.
  • intergeschlechtlichen Personen gleichberechtigte Teilhabe am sozialen Leben, an Bildung, Sport und Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
  • Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale nicht mehr als Krankheiten einzuordnen. 
  • Ärzt*innen, Pädagog*innen und andere Fachkräfte, aber auch Eltern und die allgemeine Öffentlichkeit aus einer Menschenrechtsperspektive über die Lebensrealitäten, Rechte und Bedarfe intergeschlechtlicher Personen aufzuklären.
  • solange Geschlecht amtlich registriert wird, allen Erwachsenen und einsichtsfähigen Kindern zu ermöglichen, zwischen weiblichem, männlichem und mindestens einem weiteren positiven Geschlechtseintrag zu wählen.
  • körperliche Geschlechtsmerkmale als Diskriminierungsgrund im Antidiskriminierungsrecht zu berücksichtigen.

Wie ist die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland, und wo besteht noch Handlungsbedarf?

Seit dem 22. Mai 2021 schützt ein Gesetz Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen. Darin ist folgendes geregelt:

  • Behandlungen von einwilligungsunfähigen Kindern sind verboten, wenn diese allein in der Absicht erfolgen sollen, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzugleichen,
  • operative Eingriffe mit einer solchen Folge sind nur möglich, wenn sie nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden können,
  • in der Regel ist eine familiengerichtliche Genehmigung dieser operativen Eingriffe erforderlich, dabei wird das Kindeswohl geprüft,
  • dabei kann in einem vereinfachten Verfahren entschieden werden, wenn eine interdisziplinäre Kommission den Eingriff befürwortet hat.

Von Inter*-Organisationen wird bemängelt, dass das Gesetz noch nicht ausreichend Schutz und zu viel Spielraum bietet, wenn Eltern beispielsweise ihre Kinder im Ausland operativ behandeln lassen. Auch in anderen Bereichen bestehe noch Handlungsbedarf. So fordern Aktivist*innen beispielsweise, dass das Thema Intergeschlechtlichkeit in schulische Lehrpläne aufgenommen werden solle.

In anderen EU-Staaten ist die Situation unterschiedlich; teilweise sind dort bereits stärkere Schutzmaßnahmen in Kraft. Aktuell erarbeiten Vertreter*innen aus Politik und Inter*-Verbänden Vorschläge zur weiteren Verbesserung der Gleichstellung von inter* Personen im Rahmen des zuständigen Ministerkomitees im Europarat.4

1 Krämer, A., Sabisch, K. (2019). Inter*: Geschichte, Diskurs und soziale Praxis aus Sicht der Geschlechterforschung. In: Kortendiek, B., Riegraf, B., Sabisch, K. (eds) Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und Gesellschaft, vol 65. Springer VS, Wiesbaden. Zuletzt aufgerufen am 06.06.2023 von https://doi.org/10.1007/978-3-658-12496-0_78.

2 IVIM / OII Deutschland (o.A.): „OII Netzwerk“. In: https://oiigermany.org/. Zuletzt abgerufen am 05.04.2023 von https://oiigermany.org/oii-netzwerk/.

3 Intersexuelle Menschen e. V./XY-Frauen (2008): Schattenbericht zum 6. Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW). Zuletzt aufgerufen am 07.06.2023 von http://www.im-ev.de/pdf/Schattenbericht_CEDAW_2008-Intersexuelle_Menschen_e_V.pdf.

4 Europarat (2023): „Menschenrechte von intersexuellen Personen: Arbeit an neuer Empfehlung des Europarates gestartet“. In: https://www.coe.int/. Zuletzt abgerufen am 07.06.2023 von https://www.coe.int/en/web/portal/full-news/-/asset_publisher/y5xQt7QdunzT/content/id/182529412.