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Gesundheitsversorgung von intergeschlechtlichen Menschen

Auch wenn Ihnen Medizinstudium oder Pflegeausbildung Wissen zu sogenannten „Disorders of Sex Development“ (DSD; dt.: Störungen/Varianten der Geschlechtsentwicklung) vermittelt haben: Die erste Begegnung mit inter* Patient*innen ist oft von Unsicherheit geprägt. Wir haben deshalb Hinweise von inter* Personen zusammengestellt.

Inter* Menschen verbinden mit Krankenhäusern und Arztpraxen oft Erinnerungen an Herabwürdigung und Desinformation. Manche mussten dort Untersuchungen ihres Körpers erleben, die nicht durch ein individuelles Therapieziel begründet waren. Oder ihr Genitalbereich wurde vor Studierenden und Kolleg*innen ihrer Behandler*innen zur Schau gestellt. Wenn sie geschlechtsverändernden Operationen ohne ihre Einwilligung ausgesetzt waren, leiden sie möglicherweise unter den Langzeitfolgen dieser Eingriffe und/oder der durch sie nötig gewordenen Hormongaben.

Manche inter* Menschen versuchen Arztbesuche zu vermeiden, weil sie fürchten, im doppelten Wortsinne schlecht behandelt oder retraumatisiert zu werden.

Gemeinsam für eine gute Behandlung sorgen

Vor dem Hintergrund solcher Bevormundungs- und Gewalterfahrungen ist es zentral, inter* Patient*innen als Menschen mit Selbstbestimmungs- und Informationsrechten sowie Expert*innenwissen über den eigenen Körper zu begegnen:

  • Wenn körperliche Untersuchungen anstehen, sollten Sie im Vorhinein deren Zweck und die einzelnen Schritte erläutern. Sie sollten das Einverständnis der Person einholen und auch während der Untersuchung aufmerksam für Äußerungen von Unbehagen bleiben. Sollten Sie Ideen für weniger invasive Untersuchungsmethoden haben, sollten Sie diese aktiv vorschlagen. 
  • Sie sollten Ihr persönliches oder fachliches Interesse an Intergeschlechtlichkeit zurückstellen, wenn Sie sich dem konkreten Anliegen widmen, das Ihre*n Patient*in zu Ihnen geführt hat. Vielleicht benötigen Sie bestimmte Informationen über Geschlechtsmerkmale oder die Behandlungsgeschichte der Person, um sie korrekt behandeln zu können. Sie sollten in diesem Fall proaktiv und präzise erklären, warum Sie diese Fragen stellen.
  • Sie sollten auf eine respektvolle Sprache achten, die den Körper Ihres Gegenübers nicht abwertet oder als defizitär erscheinen lässt. Weitere Tipps für einen verantwortungsvollen Umgang finden Sie hier.
  • Sie sollten sich von Vorannahmen lösen, was für inter* Personen wichtig ist. Möglicherweise ist etwa ein genderkonformes Behaarungsmuster für die Person kein – oder gegenüber ihrem sonstigen gesundheitlichen Wohlergehen nur ein nachrangiges – Ziel.

Wissen und Weiterlernen

Inter* Körper, Biografien und Anliegen sind sehr unterschiedlich. Vermutlich können Sie nicht für jede spezifische Situation auf Vorerfahrungen zurückgreifen.

Viele inter* Menschen haben selbst umfangreiches Wissen über ihren Körper und wünschen sich, dass Behandler*innen Unsicherheiten offen ansprechen und mit ihnen Lösungen entwickeln, die an ihren spezifischen körperlichen Voraussetzungen und Bedarfen orientiert sind und nicht (notwendigerweise) an männlichen oder weiblichen Normwerten. Für soziale und rechtliche Fragen können Sie Ihre Patient*innen auch an Inter*-Organisationen und -Peerberatungsstellen verweisen oder sich dort selbst informieren. Hinweise zu Informations- und Beratungsangeboten finden Sie hier: https://www.regenbogenportal.de/angebote?angebot=alle sowie hier: https://www.regenbogenportal.de/fuer-fachkraefte.

Weiterführende Informationen:

Intersexuelle Menschen Landesverband Niedersachen e.V./ Queeres Netzwerk Niedersachen e.V. (2021): Queere Gesundheit. Inter* Personen in Ihrer Praxis. Zuletzt abgerufen am 20.12.2022 von https://q-nn.de/wp-content/uploads/2021/01/qnn-queere-gesundheit-flyer-hausaerztinnnen-inter.pdf.

Kahl, Kristin [u. a.] (2022): „Geschlechtervielfalt: Versorgung aller sicherstellen“. In: Deutsches Ärzteblatt, Heft 38, Jahrgang 119. Zuletzt abgerufen am 21.12.2022 von https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=227600.