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Mein Kind ist intergeschlechtlich

„Junge oder Mädchen?“ Manchmal ist das nicht so einfach zu beantworten. Eltern stehen dann oft vor schwierigen Fragen.

Die Nachricht, dass das eigene Kind körperlich nicht in die Kategorien von weiblich oder männlich passt, trifft die meisten Eltern unvorbereitet und kann zu Irritationen führen. Das hängt auch damit zusammen, dass in großen Teilen der Gesellschaft immer noch allein in den Kategorien von „Mann“ und „Frau“ gedacht wird.1 Insbesondere wenn das medizinische Personal selbst unsicher agiert, Sie mit einer alarmierend klingenden Diagnose oder zusätzlichen Untersuchungen konfrontiert werden, kann sich leicht Überforderung einstellen. Auch Scham oder Angst, das eigene Kind nicht lieben zu können, kommen vor. Und vor allem ist es meist schwierig, verlässliche Antworten auf die eigenen Fragen zu finden.

Ein Kind wie andere auch

Das Wichtigste vorweg: Ihr Kind ist in Ordnung so, wie es ist, und es kann so glücklich aufwachsen wie andere auch. Sein körperliches Geschlecht ist an sich so wenig behandlungsbedürftig wie das männliche oder weibliche Geschlecht anderer Kinder. Lebensbedrohliche Komplikationen mit umgehendem Handlungsbedarf kommen eher selten vor.2

Sich Zeit nehmen

Lassen Sie sich also nicht unter Druck setzen. Erlauben Sie Ihrem Kind, seinen Körper kennenzulernen. Die Geschlechtsidentität des Kindes und späteren Erwachsenen, dessen Wünsche in Bezug auf den eigenen Körper und die eigene Sexualität lassen sich nicht vorhersagen. Mit zunehmendem Alter wird sich Ihr Kind selbst dazu äußern können. Behandlungen, die einige inter* Personen auf eigenen Wunsch vornehmen lassen, um ihren Körper zum Beispiel in eine männlichere oder weiblichere Richtung zu verändern, sind dann immer noch möglich.3

Operationen, aber auch manche hormonellen Eingriffe in den kindlichen Körper lassen sich nicht rückgängig machen. Viele intergeschlechtliche Erwachsene müssen mit den Folgen von Behandlungen leben, in die sie selbst nicht eingewilligt haben. Inter* Kinder werden darum heute besonders geschützt: nach dem seit 2021 geltenden „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ sind geschlechtsverändernde operative Eingriffe an ihnen nur noch möglich, wenn diese nicht später durchgeführt werden können und die Zustimmung eines Familiengerichtes vorliegt.4  

Damit trägt der Gesetzgeber der in der medizinischen Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ formulierten Forderung der Medizin Rechnung, dass größtmögliche Zurückhaltung bei Operationen an inter* Kindern in nicht unmittelbar lebensbedrohlichen Fällen geübt werden sollte.5 

Ihr Kind und sich selbst stärken 

Insbesondere in den ersten Lebensjahren sind Sie als Verbündete Ihres Kindes gefordert, wenn es darum geht, dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung zu wahren. 

Intergeschlechtliche Kinder können ein unkompliziertes und selbstbewusstes Verhältnis zu ihrem Körper und Geschlecht entwickeln, wenn ihnen das Wissen darüber nicht vorenthalten wird und ihre Bezugspersonen gelassen damit umgehen. Dabei kann auch Kontakt zu erwachsenen inter* Vorbildern helfen.

In Eltern-Gruppen und Inter*-Beratungsstellen finden Sie Menschen, die mit den Fragen vertraut sind, die sich in Ihrer Situation stellen. Von intergeschlechtlichen Erwachsenen können Sie etwas über deren biographische Wege erfahren. Inter*-Organisationen bieten nützliche Infomaterialien. Beratungs- und Unterstützungsangebote finden Sie im Regenbogenportal.

1 Schwulenberatung Berlin (2021): „Das Beste für ihr intergeschlechtliches Kind. Informationen für Eltern“, S. 2. Zuletzt abgerufen am 14.03.2023 von https://schwulenberatungberlin.de/wp-content/uploads/2021/06/SCHWUBE_Inter_Eltern_Flyer_2021_DU.pdf.

2 Deutscher Ethikrat (2012): Intersexualität. Stellungnahme. Berlin: Eigenverlag, S. 45f. Zuletzt abgerufen am 09.03.2023 von www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/DER_StnIntersex_Deu_Online.pdf; Krämer, Anike/Sabisch, Katja/Woweries, Jörg (2016): „Varianten der Geschlechtsentwicklung – die Vielfalt der Natur“. In: Kinder- und Jugendarzt. 2016, 47/5, S. 318-320. Zuletzt abgerufen am 09.03.2023 von www.vlsp.de/files/pdf/kraemer2016.pdf; Kumst, Anjo/ Rogenz, Michael (2022): „Intergeschlechtlichkeit ja bitte – eine gesunde Einstellung“, S. 18. In: Impu!se, Heft 114, S. 18 - 19. Zuletzt abgerufen 09.03.2023 von https://www.gesundheit-nds-hb.de/fileadmin/Publikationen/Impulse/impulse-nr114-web.pdf; Schwulenberatung Berlin (2021): „Das Beste für ihr intergeschlechtliches Kind. Informationen für Eltern“, S. 1. Zuletzt abgerufen am 14.03.2023 von https://schwulenberatungberlin.de/wp-content/uploads/2021/06/SCHWUBE_Inter_Eltern_Flyer_2021_DU.pdf.

3 Deutsche Gesellschaft für Urologie/Deutsche Gesellschaft für
Kinderchirurgie/Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (Hrsg.) (2016): S2k-Leitlinie
Varianten der Geschlechtsentwicklung, S. 18, 20. Zuletzt abgerufen am 09.03.2023 von https://www.aem-online.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/S2k_Geschlechtsentwicklung-Varianten_2016-08_01_1_.pdf.

4 Bundesministerium der Justiz (2021): „Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen“. In: https://www.bmj.de/. Zuletzt abgerufen am 09.03.2023 von https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Verbot_OP_Geschlechtsaenderung_Kind.html.

5 Deutsche Gesellschaft für Urologie/Deutsche Gesellschaft für
Kinderchirurgie/Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (Hrsg.) (2016): S2k-Leitlinie
Varianten der Geschlechtsentwicklung, S. 19; 21. Zuletzt abgerufen am 22.03.2023 von https://www.aem-online.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/S2k_Geschlechtsentwicklung-Varianten_2016-08_01_1_.pdf.

Weiterführende Informationen:

Krämer, Anike (2021): Geschlecht als Zäsur. Zum Alltagserleben von Eltern intergeschlechtlicher Kinder. Springer VS: Wiesbaden.

Körber-Stiftung (2021): „Anike Krämer erforscht, was es mit Eltern macht, wenn das eigene Kind inter* ist“. In: https://koerber-stiftung.de/. Zuletzt abgerufen am 14.03.2023 von https://koerber-stiftung.de/mediathek/anike-kraemer-erforscht-was-es-mit-eltern-macht-wenn-das-eigene-kind-inter-ist/.

Schwulenberatung Berlin (2021): „Das Beste für ihr intergeschlechtliches Kind. Informationen für Eltern“. Zuletzt abgerufen am 14.03.2023 von https://schwulenberatungberlin.de/wp-content/uploads/2021/06/SCHWUBE_Inter_Eltern_Flyer_2021_DU.pdf.