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Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schule und Jugendarbeit

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Jugendliche gelten in der sozialwissenschaftlichen Forschung als besonders verletzbare Gruppen. Wie können Sie als pädagogische Fachkraft lsbtiq* Jugendliche unterstützen und welche gesetzlichen und fachlichen Grundlagen sollten Sie hierzu kennen?

Viele Kinder merken bereits im Grundschulalter, dass sie sich (auch) zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen oder ihre Geschlechtsidentität nicht dem zugewiesenen Geschlecht entspricht. Allerdings fehlt es im Schulalltag an lebensnahen Orientierungs- und Identifizierungspunkten. So werden lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen in der Schule oftmals in Gesprächen, Bildern und Texten nur als Abweichung von der heterosexuellen Norm sichtbar und damit abgewertet; trans*, inter* und nicht-binäre Personen finden sich in Lehrmaterialien allzu oft überhaupt nicht wieder. Dies führt dazu, dass viele dieser Heranwachsenden ihre eigenen Gefühle und Lebensweisen gar nicht erst offen zeigen, was sie psychosozial belastet und nachweislich zu einem erhöhten Suizidrisiko führt.1 

Um diese besonders vulnerable Gruppe von Jugendlichen zu unterstützen, ist es wichtig, verschiedene Lebensweisen sichtbar zu machen und bei Diskriminierungen konsequent einzugreifen. Jede Intervention bei Diskriminierungen ist ein Zeichen der Solidarität für die Kinder und Jugendlichen, die sich selbst als lsbtiq* identifizieren, aber (möglicherweise) in der Situation selbst sich nicht als solche zu erkennen geben (können oder wollen).

Vermitteln Sie den Jugendlichen Wissen zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt und fördern Sie einen offenen Austausch zu dem Thema. Machen Sie Ihre Ablehnung von Diskriminierung deutlich und betrachten Sie gemeinsam zugrunde liegende Bewertungen. Hilfreich sind zudem klar kommunizierte Richtlinien in Ihrer Einrichtung, die Mobbing ächten. Wenn Jugendliche Ihnen etwas über ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität mitteilen, nehmen Sie diese ernst und wahren Sie die Vertraulichkeit.

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Gesetzliche und fachliche Grundlagen

Pädagogische Fachkräfte haben gemäß der UN-Kinderrechtskonvention und dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) den gesetzlichen Auftrag, Kinder in ihrer individuellen Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, sie vor Gefahren zu schützen und Benachteiligungen abzubauen. Jedes Kind, unabhängig von Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung oder anderen sozialen Aspekten, hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf eine diskriminierungsfreie Lernumgebung und auf Teilhabe.

Fachliche Grundlagen sind der Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter „Sexuelle Orientierung ist ein relevantes Thema der Jugendhilfe“ von 20032 und die Stellungnahmen der Kinderkommission des Bundestages von 20163 und 20174.

Lsbtiq* Jugendliche unterstützen

Da lsbtiq* Jugendliche ihre sexuelle Orientierung beziehungsweise Geschlechtsidentität oft verschweigen, hängt viel davon ab, wie Sie als pädagogische Fachkraft handeln. Sie können die Identitätsentwicklung positiv unterstützen, vor Diskriminierung schützen und pädagogische Settings inklusiv gestalten, indem Sie sich an folgenden Handlungsempfehlungen orientieren:

  • Informieren Sie sich über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Klären Sie den konkreten Kontext, in dem Ihnen LSBTIQ*-Themen begegnen: Häufig geht es nicht um Sexualität, sondern um Identität und Lebensformen.
  • Denken Sie lsbtiq* Jugendliche strukturell mit und machen Sie deren Lebensweisen sichtbar.
  • Achten Sie auf eine Sprache, die sensibel auf Geschlechtervielfalt eingeht und verwenden Sie inklusive Formulierungen wie zum Beispiel „Bist du verliebt?“ oder „Hast du eine Beziehung?“ statt zu fragen „Hast du schon einen Freund/eine Freundin?“
  • Reagieren Sie positiv auf ein Comingout und fragen Sie auch bei Andeutungen oder Signalen sensibel nach.
  • Seien Sie wachsam für diskriminierende Ausdrücke und weisen Sie diese zurück.
  • Achten Sie in Formularen auf geschlechtsneutrale Formulierungen. 
  • Laden Sie als Lehrkraft Schulaufklärungsprojekte in die Klasse ein.
  • Schaffen Sie für die Schulbibliothek Bücher an, die gesellschaftliche Vielfalt abbilden. Auch die Unterrichtsmaterialien sollten allen Kindern und Jugendlichen Identifikationsmöglichkeiten bieten. Weitere Informationen erhalten Sie zum Beispiel bei der Fachstelle Queere Bildung von QUEERFORMAT.
  • Anlässe zur Thematisierung von lsbtiq* Themen können aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, der Schulalltag oder spezifische Jahrestage wie zum Beispiel der Internationale Tag gegen Homophobie, Biphobie, Interphobie und Transphobie (IDAHOBIT) am 17. Mai sein.
  • Initiieren oder unterstützen Sie die Gründung einer schulischen AG von beziehungsweise für lsbtiq* Jugendliche.

Empirische Studien belegen, dass bestehende Geschlechterstereotypen Kinder in ihrer Entwicklung behindern.5 Eine offene Haltung im Umgang mit LSBTIQ*-Themen und die aktive Berücksichtigung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt hingegen wirkt sich nicht nur positiv auf queere Jugendliche aus, sondern auf alle Jugendlichen, mit denen Sie arbeiten.

Zum Weiterlesen

Welche Gender-Themen bewegen Jugendliche – und was bedeuten sie für die pädagogische Praxis? Über aktuelle Diskurse sowie Tipps und Methoden für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen informiert die Website www.geschlechtersensible-paedagogik.de. Das vom BMFSFJ geförderte Projekt ist eine Kooperation der BAG Jungen*arbeit mit der BAG Mädchen*politik.

1 Kugler, Thomas (2017): „Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Queere Jugendliche zwischen Vulnerabilität und Ressourcen“. In: jugendhilfe. 2017, Heft 4, S. 364; Marshal, Michael P./Dietz, Laura J./Friedman, Mark S./Stall, Ron/Smith, Helen A./McGinley, John et al. (2011): "Suicidality and depression disparities between sexual minority and heterosexual youth: A meta-analytic review". In: Journal of Adolescent Health. 2011, 49, S. 115-123.
Die Ergebnisse wurden in verschiedenen nationalen Studien bestätigt, so zum Beispiel in: Kingsbury, Mila et. al (2022): „Suicidality among sexual minority and transgender adolescents: a nationally representative population-based study of youth in Canada“.  Zuletzt aufgerufen am 02.11.2023 unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35667666/.

2 Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (2003): „Sexuelle Orientierung ist ein relevantes Thema der Jugendhilfe“. In: www.bagljae.de, Mai 2003. Zuletzt abgerufen am 20.10.2023 unter www.bagljae.de/downloads/089_sexuelle-orientierung_2003.pdf.

3 Deutscher Bundestag, Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (2016): Stellungnahme der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland. Kommissionsdrucksache 18. Wahlperiode 18/13, 22.06.2016. Zuletzt abgerufen am 20.10.2023 unter www.bundestag.de/blob/433634/a3eea52ce794584e49c356d95d2e0bd1/stellungnahme_kinderrechte-data.pdf.

4 Deutscher Bundestag, Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder, die Vorsitzende (2017): Stellungnahme der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zum Thema „Queer, na und!? – LSBTIQ-Jugendliche in Deutschland“. Kommissionsdrucksache 18. Wahlperiode 18/27, 23.10.2017. Zuletzt abgerufen am 20.10.2023 unter www.bundestag.de/blob/530092/75a138973b940ecfbce1a9869f84a362/stellungnahme_queer-data.pdf.

5 Focks, Petra (2022): „Erziehung und Bildung jenseits von Geschlechterstereotypen“. W. Kohlhammer Verlag, S. 76.

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