Geschlechtliche Vielfalt in Pflege und Betreuung
Trans- und intergeschlechtliche Personen leben auch in Altenheimen, Behinderten-Einrichtungen, haben eine_n gesetzliche_n Betreuer_in oder werden von Angehörigen gepflegt. Das geht für beide Seiten mit Herausforderungen einher.

Statistisch betrachtet ist es wahrscheinlich, dass Sie als Fachkraft in der Pflege oder Betreuung auch transTransgeschlechtliche Menschen identifizieren sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.- oder intergeschlechtlichenIntergeschlechtliche (lat. „inter“: zwischen) Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen. Personen oder Menschen mit einem "untypischen" GeschlechtsausdruckGeschlechtsausdruck bezeichnet die Art und Weise, wie Menschen ihre Geschlechtsidentität nach außen darstellen beziehungsweise sich geschlechtlich präsentieren. begegnen. Möglich ist aber, dass Sie es nicht merken. Viele outenAls Comingout (engl. 'come out': herauskommen) wird der Prozess bezeichnet, die eigene Identität, sexuelle Orientierung, Lebensweise oder Körperlichkeit öffentlich zu machen, obwohl sie von herrschenden Normen abweicht. sich nicht, weil das Risiko, diskriminiertDiskriminierung bedeutet, dass Menschen schlechter behandelt werden oder Nachteile für sie bestehen, weil sie bestimmte Merkmale haben beziehungsweise ihnen diese Merkmale zugeschrieben werden. zu werden, zu hoch erscheint. Oder sie nutzen andere Begriffe für ihren Körper oder ihre Identität.
Was sind Herausforderungen für trans- und intergeschlechtliche Menschen in Pflege oder Betreuung?
Menschen, die hinsichtlich ihres GeschlechtsGeschlecht ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Ordnungsprinzip und eine einflussreiche soziale Kategorie. oder Geschlechtsausdrucks von der NormGesellschaftliche Normen (lat. „norma“ Richtschnur, Regel) bezeichnen allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Verhaltensregeln, die das Zusammenleben von Menschen organisieren. abweichen, haben im Laufe ihres Lebens oft gelernt, gefährliche Situationen zu meiden und im Zweifel den Wohnort, die Ärztin oder die Straßenseite zu wechseln. Werden sie pflegebedürftig, sind ihnen solche Auswege versperrt und die Aussicht auf Abhängigkeit oft mit großer Angst verbunden.
Wer aufgrund einer kognitiven Beeinträchtigung in Betreuung ist, kommt möglicherweise gar nicht mit ihrer_seiner CommunityDer Begriff „Community“ (dt.: Gemeinschaft, Gemeinde) bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen, Eigenschaften oder Erfahrungen einander zugehörig fühlen. in Kontakt, hat also auch kaum Zugang zu dem Wissen und den empowerndenDurch Empowerment (dt.: Ermächtigung, Stärkung) wird die Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit von Menschen oder Gemeinschaften verbessert. Erfahrungen, die sie bietet. Dann ist die Person darauf angewiesen, dass ihre Angehörigen oder Betreuenden sie in ihrer Entfaltung und Selbstbestimmung unterstützen.
Dazu kommt fehlendes Wissen aufseiten der Versorger_innen, zum Beispiel über die korrekte Pflege einer Neovagina, die bei vielen transTransgeschlechtliche Menschen identifizieren sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.* Frauen auf Wunsch, bei intergeschlechtlichen Menschen jedoch meist ohne ihre Einwilligung angelegt wurde. Auch zur Langzeitwirkung von Hormonersatztherapien, denen sich viele interIntergeschlechtliche (lat. „inter“: zwischen) Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen.* Menschen lebenslang unterziehen (müssen), liegen kaum Daten vor.
Was kann ich als Pflege- oder Betreuungsfachkraft tun?
Offen sein für Neues
Höchstwahrscheinlich hat Sie Ihre Ausbildung kaum speziell auf die Pflege inter- oder transgeschlechtlicher Menschen vorbereitet. Hilfreich ist in dieser Situation die Bereitschaft, Routinen zu überdenken, dazuzulernen und Fragen zu stellen. Die Menschen, denen Sie in allen möglichen Alltagsdingen unter die Arme greifen, wissen im Zweifel selbst am besten über ihre eigene Identität Bescheid und können Ihnen sagen, was sie sich für den eigenen Körper wünschen, wie sie sich kleiden oder genannt werden möchten.
Selbstbestimmung ins Zentrum stellen
Manchmal versuchen Betreuer_innen, ihre Klient_innen von gendernonkonformemDer Begriff „genderkonform“ beschreibt die Übereinstimmung mit gesellschaftlich vorherrschenden Ideen über ein bestimmtes Geschlecht. „Gendernonkonform“ beschreibt die Abweichung davon. Verhalten abzuhalten (zum Beispiel einen Jungen vom Tragen "weiblicher" Kleidung), um sie vor Anfeindungen zu schützen. In dieser Situation ist es wichtig, sich nicht von eigenen Ängsten vor Ausgrenzung oder denen der Angehörigen leiten zu lassen. Versuchen Sie stattdessen, die Person in ihrem Selbstausdruck zu stärken, und positionieren Sie sich klar gegen jede Herabsetzung.
Manchmal stehen die Wünsche einer inter- oder transgeschlechtlichen Person auch in Konflikt mit den Vorstellungen ihrer Angehörigen. Wenn Sie gesetzliche_r Betreuer_in sind, ist Ihr Auftrag klar: den betreuten Menschen in der Ausübung seiner Persönlichkeitsrechte zu unterstützen. Das umfasst auch dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf ein Leben in Einklang mit der GeschlechtsidentitätDie Geschlechtsidentität bezeichnet das Wissen und Empfinden eines Menschen über sein eigenes Geschlecht., die sie_er zum Ausdruck bringt.
Körper und Körperpflege
Viele inter- und transgeschlechtliche Menschen haben Körper, die sich von der männlichen oder weiblichen Norm sichtbar unterscheiden, und dafür oft Abwertung und Beschämung erlebt. Bei intergeschlechtlichen Menschen können uneingewilligte Operationen oder andere Behandlungen mit traumatisierenden Folgen hinzukommen.
Gehen Sie bei der Körperpflege darum mit besonderer Sensibilität vor. Achten Sie auch bei Dritten darauf, dass diese den Körpern Ihrer Klient_innen mit dem gebotenen Respekt begegnen.
Privatsphäre schützen
Wenn sich Ihnen offenbart, dass ein_e Klient_in inter- oder transgeschlechtlich ist, fragen Sie die Person, wie diese Information dokumentiert und weitergegeben werden soll. Wenn das nicht möglich ist, geben Sie Wissen über die Geschlechtsmerkmale einer Person oder über die Geschlechtsrolle, in der sie früher gelebt hat, nur weiter, insoweit dies für eine fachgerechte Pflege oder Betreuung notwendig ist.
Geschlechtliche Vielfalt in den Alltag integrieren
Für Einrichtungen gibt es viele Möglichkeiten zu signalisieren, dass bei Ihnen Menschen unterschiedlicher Geschlechter und Körper, Identitäten und Ausdrucksweisen willkommen sind und selbstverständlich mit der gleichen Betreuungsqualität rechnen können: Infomaterialien und Veranstaltungshinweise für inter- oder transgeschlechtliche Menschen etwa oder eine (An-)Sprache, die nicht nur Männer und Frauen berücksichtigt.
Leichter geht das, wenn in Ihrer Einrichtung alle an einem Strang ziehen und Sie den Wissensaufbau gemeinsam angehen – etwa indem Sie Kontakt zu Inter*- oder Trans*-Organisationen aufnehmen oder sich über das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Qualitätssiegel "Lebensort Vielfalt" informieren, mit dem sich stationäre Alten- und Pflegeeinrichtungen, ambulante Pflegedienste, Hospize, Tagespflege- und ähnliche Einrichtungen auszeichnen lassen können.