Thema
Lebensbereich

Diskriminierung und Gewalt gegen intergeschlechtliche Menschen

Was ist über Diskriminierung und Gewalt gegen intergeschlechtliche beziehungsweise intersexuelle Menschen in Deutschland bekannt?

Körperverletzung und Traumatisierung im Gesundheitssystem 

Die geltenden medizinischen Leitlinien sprechen sich gegen kosmetische Operationen "uneindeutiger" Genitalien an nicht einwilligungsfähigen Kindern aus; doch die Zahl nicht lebensnotwendiger Genitaloperationen an intergeschlechtlichenIntergeschlechtliche (lat. 'inter': zwischen) Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen. Säuglingen ist seit der Verabschiedung der aktuellen Leitlinien im Jahr 2016 nicht signifikant zurückgegangen.1 Diese Eingriffe sind als Körperverletzung zu bewerten und können traumatisierende Folgen für intergeschlechtliche beziehungsweise intersexuelle Menschen haben, die statt einer zu erwartenden Linderung in Krankenhäusern und Arztpraxen Gewalt und Entmündigung durch eine normierendeGesellschaftliche Normen (lat. 'norma' Richtschnur, Regel) bezeichnen allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Verhaltensregeln, die das Zusammenleben von Menschen organisieren. Zurichtung ihrer Körper erleben.

Wie viele intergeschlechtliche Erwachsene in Deutschland bereits mit den körperlichen und seelischen Folgen solcher Eingriffe zu kämpfen haben, kann nur geschätzt werden. Immer noch berichten interIntergeschlechtliche (lat. 'inter': zwischen) Menschen haben angeborene körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen.* Personen – auch bei gewöhnlichen Arztbesuchen – von DiskriminierungenDiskriminierung (lat. 'discriminare': trennen, unterscheiden) bedeutet, dass Menschen schlechter behandelt werden oder Nachteile für sie bestehen, weil sie bestimmte Merkmale haben beziehungsweise ihnen diese Merkmale zugeschrieben werden. wie zum Beispiel verweigerten Behandlungen oder Untersuchungen, der Nichtbeachtung ihrer Warnung vor Schmerzen bei einer bestimmten Untersuchungsmethode oder verminderter Behandlungsqualität.2 

Eingeschränkte Teilhabe: Schule, Arbeitsmarkt, gesellschaftliches Leben 

Zur Marginalisierung intergeschlechtlicher Menschen gehört auch, dass es zu ihrer Lebenssituation in Deutschland kaum Forschung gibt. Berichte von Selbstvertretungsorganisationen sowie (auto-)biografische Veröffentlichungen weisen jedoch auf vielfältige Ausschlüsse hin: 

Erzwungenes Verstecken der eigenen Geschlechtlichkeit in der Schule und Fehlzeiten durch häufige Krankenhausaufenthalte können den Bildungserfolg langfristig beeinträchtigen. Viele intergeschlechtliche Erwachsene leben in Armut, sind prekär beschäftigt oder als Langzeitfolge geschlechtsverändernderMit geschlechtsverändernden Eingriffen wird der Körper von intergeschlechtlichen Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen so verändert, dass sie den aktuellen Vorstellungen über einen 'typisch' männlichen oder weiblichen Körper entsprechen. Operationen erwerbsunfähig.3

Scham über den eigenen Körper, Schmerzen, Taubheit oder andere körperliche Beschwerden infolge der "Behandlungen" können das Eingehen von Partnerschaften ebenso wie die Teilnahme an sportlichen und anderen sozialen Aktivitäten erschweren.

Die gesellschaftliche Stigmatisierung beziehungsweise Benachteiligung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass es – obwohl je nach Definition zwischen 16.000 und 1,4 Millionen intergeschlechtliche Menschen in Deutschland leben4 – keine geouteteAls Comingout (engl. 'come out': herauskommen) wird der Prozess bezeichnet, die eigene Identität, sexuelle Orientierung, Lebensweise oder Körperlichkeit öffentlich zu machen, obwohl sie von herrschenden Normen abweicht. inter* Person in einer öffentlichen Führungsposition gibt.

Hindernisse für die Selbstermächtigung: Desinformation, Pathologisierung, Schweigen

Die Möglichkeiten intergeschlechtlicher Menschen, sich gegen Benachteiligungen und Rechteverletzungen zu wehren, bleiben eingeschränkt, wenn sie nicht umfassend und korrekt über ihr körperliches GeschlechtGeschlecht ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Ordnungsprinzip und eine einflussreiche soziale Kategorie. Aber die Definitionen darüber, was Geschlecht eigentlich ausmacht, unterscheiden sich stark: … und gegebenenfalls vorgenommene Behandlungen informiert werden. 

Werden intergeschlechtliche Menschen in dem Glauben gelassen, "der/die einzige" zu sein, oder wird ihnen der Kontakt zur Inter*-CommunityDer Begriff 'Community' (dt.: Gemeinschaft, Gemeinde) bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen, Eigenschaften oder Erfahrungen einander zugehörig fühlen. auf andere Weise erschwert – so kritisieren Inter*-Verbände –, werden ihre Ausgrenzung und die Folgen der Vereinzelung bewusst in Kauf genommen.

Auch abwertendes Sprechen über intergeschlechtliche Körper ("Störung", "Fehlbildung") und das weitgehende Ausblenden des Themas in Schule und Medien können intergeschlechtliche Menschen daran hindern, ein positives Verhältnis zu ihrem Geschlecht zu entwickeln und selbstbewusst für die eigenen Rechte einzutreten. Ein wichtiger Schritt gegen ihre Diskriminierung ist darum, sich und andere über die Vielfalt körperlichen Geschlechts und über Inter*-Lebensrealitäten zu informieren.

1 Hoenes, Josch/Januschke, Eugen/Klöppel, Ulrike (2019): "Häufigkeit normangleichender Operationen 'uneindeutiger' Genitalien im Kindesalter. Follow Up-Studie". Zuletzt abgerufen am 25.02.2019 von omp.ub.rub.de/index.php/RUB/catalog/view/113/99/604-2; Klöppel, Ulrike (2016): "Zur Aktualität kosmetischer Operationen 'uneindeutiger' Genitalien im Kindesalter. Herausgegeben vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien. Zuletzt abgerufen am 25.02.2019 von www.gender.hu-berlin.de/de/publikationen/gender-bulletins/bulletin-texte/texte-42/kloeppel-2016_zur-aktualitaet-kosmetischer-genitaloperationen/at_download/file.

2 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2016): "Dokumentation Fachaustausch: 'Beratung und Unterstützung für intersexuelle (i. S. v. Menschen mit angeborenen Variationen der Geschlechtsmerkmale) Menschen und ihre Familien'. 4. November 2015. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität – Band 3, S. 32. Zuletzt abgerufen am 27.02.2019 von www.bmfsfj.de/blob/jump/123144/imag-band-3-beratung-und-unterstuetzung-fuer-intersexuelle-menschen-data.pdf; OII Germany (2017): "CEDAW Shadow Report. With reference to the combined Seventh and Eighth Periodic Report from the Federal Republic of Germany on the Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW)", S.9, 15-18. Zuletzt abgerufen am 27.02.2019 von tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared%20Documents/DEU/INT_CEDAW_NGO_DEU_26315_E.pdf.

3 Juana Remus (o. D.): "Zur Situation von Menschen mit Intersexualität in Deutschland. Stellungnahme". Herausgegeben von Deutscher Ethikrat, S.7. Zuletzt abgerufen am 27.02.10 von www.ethikrat.org/fileadmin/PDF-Dateien/Stellungnahmen_Sachverstaendige_Intersexualitaet/Remus_-_Expertenbefragung.pdf

4 Hochrechnung von 0,02 Prozent beziehungsweise 1,7 Prozent auf 83 Millionen Einwohner_innen. Vgl. Fuchs, Jörg/Ellerkamp, Verena (2016): "Chirurgische Behandlung weiblicher genitaler Fehlbildungen im Kindesalter". In: Der Gynäkologe. 2016, 49/2, S. 101-110; Blackless, Melanie/Anthony Charuvastra/Amanda Derryck/Anne Fausto-Sterling/Karl Lauzanne/Ellen Lee (2000): "How sexually dimorphic are we? Review and synthesis". In: American Journal of Human Biology. 2000, 12, S. 151-166, hier S. 159. (Auswertung medizinischer Literatur zu Häufigkeiten im europäisch-amerikanischen Raum)